Wahrlich, es ist erstaunlich, was man in der freien Wildbahn des Internets immer wieder findet. Es wimmelt nur so von Kommentaren, Meinungen und einer Gedankenvielfalt, die grundsätzlich zu begrüßen ist. Und dennoch bin ich immer wieder erstaunt, wie viele Leute Meinungen zu Dingen haben, die sie noch nie ausprobiert haben. Aufgefallen ist mir dies gerade wieder beim Thema "Zahnriemenantrieb eines Fahrrads". Diverse Foren und deren Teilnehmer tauschen sich darüber aus, aber kaum einer hat jemals auf einem solchen Rad gesessen, geschweige denn eine längere Tour gemacht oder die Alltagstauglichkeit getestet. Daher lege ich jetzt zwar subjektiv, aber aus erster Hand einige Erfahrungen dar, die vielleicht beim Entscheidungsprozess "Zahnriemen vs. Kette" helfen mögen.
Ich fahre als Alltags-Fahrrad ein Mercedes Benz Bike mit Zahnriemenantrieb aus dem Jahr 1997. Der Zahnriemen wurde in der Zwischenzeit genau zweimal gewechselt. Der erste Wechsel war notwendig, weil das komplette hintere Antriebssystem gegen eine neuere Variante getauscht wurde – dazu gleich mehr – und der neue Riemen einfach größer sein musste. Der zweite Riemen war einfach verschlissen und hatte sich gedehnt. Der Verschleiß insgesamt hält sich damit sehr in Grenzen, das Rad wird doch regelmäßig, um nicht zu sagen täglich benutzt. Die jährliche Laufleistung liegt bei etwa 2.000 Kilometern, damit kommen in zwölf Jahren rund 24.000 Kilometer zusammen, der dritte Zahnriemen ist nun bald Geschichte. Nein, großer Verschleiß ist das nicht.
Thema Wartung: Ein Zahnriemenwechsel ist deutlich komplizierter als ein Kettenwechsel, und doch wieder nicht so kompliziert, wie in manchen Foren angenommen. Dies liegt an der Konstruktion des Rahmens: Die Radaufhängung ist so gestaltet, dass sie komplett über dem Riemen liegt. Denn ein "Öffnen" des Zahnriemens wie bei einer Kette ist natürlich nicht möglich. Horror-Szenarien wie das Zerlegen des Rahmens sind freie Erfindung. Notwendig ist allerdings der Ausbau des Hinterrades und das Lösen des Seilzugs der Nabenschaltung hinten. Wenn man sich strikt an die Anleitung hält und ein wenig Geschick mitbringt, ist das aber in wenigen Minuten erledigt. Das Rad muss dafür sinnvollerweise auf dem Kopf stehen, sonst tut man sich schwer, den Riemen zu spannen.
Im Gegensatz zur Kette entfällt aber das Wechseln der Zahnräder, denn die gibt es nicht. Der korrespondierende "Abnehmer"-Ring (das Teil hat keinen mir bekannten Namen) ist verschleißfrei. Gut – bei mir ist er einmal gebrochen und musste getauscht werden, das Teil ist aber preiswerter als eine hintere Kassette und ohne Werkzeug in 30 Sekunden montiert, wenn das Rad bereits demontiert ist. Alles in allem dauert der Wechsel eines Zahnriemens etwa 15 Minuten und ist damit nun wirklich nicht übertrieben aufwendig.
Die "tägliche" Wartung hingegen kann nur begeistern. Denn der Zahnriemen braucht keine Pflege, ein Fett, kein Öl und keine große Reinigung. Ich puste die Abnehmer hinten und an der Kurbel mit Druckluft aus, sofern ich dort Dreck sehe. Der Rest des Rades unterscheidet sich nicht von einem traditionellen Ketten-Rad. Das Mercedes-Rad hat Trommelbremsen, eine 7-Gang Nabenschaltung, keine Federung und ist insgesamt durch seinen Alu-Rahmen sehr wartungsarm. Das ist aber nicht dem Riemenantrieb geschuldet, er gliedert sich nur in die Wartungsarmut ein.
Thema Tourentauglichkeit: Das Thema ist für den Riemenantrieb aus mehrerer Hinsicht heikel. Zum einen ist es sehr ungewöhnlich, dass man im Fahrradladen einen Zahnriemen kaufen kann. Auch die anderen Teile des Antriebssystems sind Sonderanfertigungen von Mercedes bzw. des Radherstellers und daher nicht so einfach und schon gar nicht von einem auf den anderen Moment zu bekommen. Damit kann der plötzliche Ausfall eines Teils das direkte Ende einer Tour bedeuten. Ersatzteile – so leicht sie durch den Kunststoff auch sein mögen – müssen also immer mitgeführt werden. Beherzigt man dies, steht von dieser Seite einer Tour nichts im Weg, bis auf vielleicht das Wetter.
Und dies ist der zweite wunde Punkt: Der Zahnriemenantrieb arbeitet auf trockener Strecke absolut einwandfrei, bei Regen allerdings kann der Antrieb bei hoher Last, also meist beim Anfahren, schonmal durchrutschen. Zwar hat Mercedes den Antrieb gegen ein anderes Modell getauscht, um genau dem entgegenzuwirken. Vollständig verschwunden ist das Phänomen trotz deutlicher Besserung allerdings nicht. Besonders, wenn man einen recht kräftigen Antritt hat, kann der ein Stück ins Leere gehen, und das nervt. Ist das Rad erst einmal in Schwung, passiert dies nicht mehr, im Trockenen ohnehin nicht. Auf Tagestouren ist man damit auf der sicheren Seite, bei längeren Touren ist dies ein kleines Risiko. Wie erwähnt, ein Fahren im Regen ist möglich, nur eben gewöhnungsbedürftig und teilweise nervig.
Thema Leichtgängigkeit: Die Leichtgängigkeit des Riemenantriebs ist sehr hoch und nach meinem subjektiven Eindruck besser als ein Kettenantrieb. Ich fahre mit dem Rad bei gleicher Anstrengung gegenüber einem Alltagsrad mit Kette rund vier Stundenkilometer mehr (26 statt 22). Das ist eine ganze Menge, wenn auch nicht wirklich klar ist, woher diese Energieeinsparung kommt. Natürlich sind die anderen Komponenten des Rads, sei es die Gangschaltung oder das Gewicht, ebenfalls wichtige Faktoren. Dass ein Zahnriemenantrieb allerdings Unmengen Energie verpuffen lässt, kann ich nicht erkennen, eher das Gegenteil ist der Fall. Der Tritt insgesamt erscheint mir "runder" als bei einer Kette, ein wenig indirekter, dafür aber sanfter, fast ein wenig gefedert. Zusammen mit Klickpedalen ergibt sich damit ein unglaublich runder Tritt, den ich nicht missen möchte. Mein MTB ist da wesentlich "ruppiger".
Thema Alltagstauglichkeit: Der Riemen quietscht die ersten 200 Meter, wenn das Rad und der Riemen über Nacht abgekühlt sind. Je älter der Zahnriemen wird, umso heftiger wird das Quietschen und zieht den Blick der Nachbarn auf sich. Nach kurzer Fahrsstrecke verschwindet das Quietschen allerdings und weicht absoluter Stille. Insgesamt ist das Rad deutlich leiser als ein kettenbetriebenes Modell. So könnte man den Riemen fast vergessen, und genau das tut man auch. Wie mit so vielen Dingen fällt er einem erst auf, wenn er fehlt. Denn während es mir regelmäßig passiert, dass ich mir die Hose an einer Kette einsaue, passiert dies am Riemen aufgrund der fehlenden Schmierung überhaupt nicht. Das Fehlen dieser häufigen Wartungsnotwendigkeit ist in meinen Augen der eigentliche Hauptvorteil dieser Antriebsart.
Es ist nicht einfach, einen Tipp zum Kauf abzugeben. Dem einen gefällt der Zahnriemen am Rad besonders gut, einem anderen überhaupt nicht. Nichts ersetzt in diesem Fall das Ausprobieren. Einen Tipp allerdings: Es gibt große Auktionshäuser, auf denen die Räder ab und an zu finden sind, und das zu ungefähr einem Fünftel des ursprünglichen Preises. Und damit sind sie definitiv günstiger und besser als billige Baumarkt-Räder.
Wenn es noch andere Erfahrungen gibt, bestätigend wie auch widersprechend, würde ich mich über entsprechende Kommentare freuen. Bisher habe ich nur wenig von Leuten gehört, die ein solches Rad wirklich fahren. Gerne beantworte ich auch Fragen, dazu bitte einfach in den Kommentaren posten.
UPDATE: Dank des Hinweis von Rene in den Kommentaren habe ich zusammen mit einem Foto die Ersatzteilnummern des neueren Antriebs veröffentlichen können, das Ganze ist hier zu finden.
hallo sebezahn,
endlich einmal ein guter beitrag. selbst fahre ich ein bernds mit riemenantrieb. keinerlei probleme. die neuen riemen von bernds mit teflon noch einmal besser. ich werde nur noch fahrräder mit riemen fahren.
mfg