Vernunft ist angesagt. Mein Knie hat den gestrigen Tag gut überstanden, nachdem die Fahrt vor zwei Tagen alles andere als witzig war. Und wieder fällt es mir mental schwer, den Zug zu besteigen, doch den Gewaltakt von Magdeburg bis nach Berlin mit rund 150 Kilometern möchte ich mir einfach nicht antun.
So fahre ich mit dem Zug bis nach Brandenburg an der Havel, das ist zwar nur noch laut Google-Maps 66 Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt, aber erfahrungsgemäß wird die Tour immer ein wenig länger, heute sollte ich da recht behalten…
Die Ausfahrt aus der kleinen Stadt Brandenburg, die deutlich unspektakulärer ist, als sie auf der Karte aussieht, geht direkt wieder über die B1, die direkt am Bahnhof vorbeiläuft. Mit Fahrradwegen wurde nicht gegeizt, so geht es abseits der Straße mit einem gemütlichen Tempo Richtung Hauptstadt. Es dauert einige Zeit, bis ich mich an die Temperatur gewöhnt habe, aber schließlich ist mir warm, wie einem bei diesem Wetter warm sein kann.
Die Route auf der Karte sieht einfach aus: In Brandenburg auf die B1, die dann durch Werder und Potsdam bis nach Berlin direkt zum Pariser Platz. Ein kleines Stück meckert mein Navi als für Fahrraeder nicht fahrbar an und leitet mich auf der Karte über eine Parallelstraße, nicht zu verpassen.
Und so radel ich, komme durch diverse kleine Dörfer, die nicht erahnen lassen, dass man sich unmittelbar in der Nähe der größten deutschen Stadt aufhält. Das Streckenprofil ist bergiger als gedacht, aber ich habe keine Hetze, und so radel ich in kleinen Gängen und mache die Anstiege zu Strecken, auf denen ich besonders viel sehe. So komme ich bis nach Werder und bin erstaunt, dass die einzige Dienstleistung der bis hierhin gesehenen Dörfer anscheinend darin besteht, Fernfahrer zu beköstigen und zu beherbergen.
Auffällig ist, wie grün in den letzten Tagen die Umgebung geworden ist. Ich habe das Gefühl, in den vergangenen fünf Tagen haben alle Pflanzen und Grashalme entschieden, gleichzeitig zu sprießen. So wird selbst die B1 nicht langweilig, obwohl sie durchaus das Potential dazu hätte.
Und dann bin ich nicht nur im Regen, sondern auch in der Stadt! Nein, noch nicht in Berlin, sondern in Potsdam. Es geht mitten durch die Stadt, vorbei an den Parkplätzen zum Schloss, das ich heute nicht sehen will. Ein paar Fotos schieße ich von Häusern, die mir gefallen und schaue, dass ich in vernünftiger Geschwindigkeit durch den Regen komme, der eigentlich kein Regen ist, sondern mehr ein unmotiviertes Getropfe. Zu wenig, um anzuhalten, zu viel, um es zu ignorieren.
Das erste Haus direkt hinter der Berliner Stadtgrenze
Wie ich es schaffe, die Bundesstraße zu verlassen und über den Babelsberg zu fahren, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Aber es "gelingt" mir. Das Kopfsteinpflaster ist im Regen mit dem Rad weniger witzig. Und ich verpasse – das erfahre ich später – die geschichtsträchtige Brücke über die Havel, stattdessen nehme ich eine kleine Behelfsbrücke an der engsten Stelle des Flusses. Und ich bin in Berlin, in Wannsee.
Rettung am Wannsee in Berlin ist jederzeit möglich…
Nun geht es natürlich immer noch ein Stück voran, aber ich bin in der Hauptstadt angekommen. Noch eine gute halbe Stunde, ich radel nicht schneller, aber immer gespannter. Die Kamera auf meinem Rad kommt immer häufiger zum Einsatz. Dann liegt der Potsdamer Platz vor mir, ich gebe Gas, verteidige den Fahrradweg gegen Fußgänger, fahre am Sony-Center vorbei – und schieße konsequent am Brandenburger Tor vorbei. Super. Nach guten 500 Kilometern habe ich das Ziel um 500 Meter verpasst. Gott sei Dank bemerke ich den Fehler direkt, wende einmal, biege ab und stehe wenig später vor dem Brandenburger Tor. Hier bin ich das letzte Mal 2009 beim Marathon gewesen, und habe das Tor unterquert, ohne noch die Kapazität zu haben, mich richtig darüber zu freuen. Das hole ich jetzt alles nach! Ich bin da!
Die anschließende Waschung im Stadtbad Neukölln hat dann gefühlt nur noch wenig mit der Fahrt zu tun. Das Abenteuer Köln-Berlin ist beendet, und ich freue mich einfach nur noch, vor fünf Tagen losgefahren zu sein. Und meine Freunde in Berlin freuen sich, dass ich pünktlich zum 30. Geburtstag der Hausherrin angekommen bin.
Da will ich dann mal als Erster meine Glückwünsche ausprechen.
Chapeau
ph0