Es ist erstaunlich, mit welcher Intensität sich die Boulevard-Presse dem Thema „Warum Marathon Laufen“ in den letzten Wochen gewidmet hat. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass intensive Lobby-Arbeit dahintersteckt, das Thema gezielt in die Medien zu bringen, so viele Artikel ranken sich in Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen um das Thema Marathon.

Ebenfalls auffällig ist: Beinahe immer äußern sich die Artikel skeptisch, lächerlich oder herablassend. Ich wäre versucht, eine schnelle und umfassende Antwort darauf mit einem Zitat von Dieter Nuhr zu geben: Wenn man keine Ahnung hat… Doch so einfach mache ich es mir nicht. Daher mein Versuch einer Darstellung von jemandem, der Marathon läuft. Offensichtlich sind das die wenigsten Autoren dieser erwähnten Artikel.

Warum Marathon laufen? Was soll das?

Die genaue Faszination am Marathon ist mindestens so individuell wie der Sport selbst. 42,195 Kilometer am Stück zu laufen, ist definitiv eine Überlastung des eigenen Körpers. Das gilt unabhängig vom Trainingszustand und ist eines der häufigsten Kritikpunkte am Marathon – die Überlastung des Körpers. Schön und zutreffend heißt es demnach, der gesündeste Marathon sei der, für den man intensiv trainiert habe, den man aber nicht gelaufen sei.

Das ist zwar richtig, aber ebenso wenig zielführend. Denn Sportler gehen mit einem gewissen Enthusiasmus immer über ihre körperlichen Grenzen hinaus. Ein Tennisspieler kann sich ebenso verausgaben, sobald er im Turnier steht, ein Radfahrer ohnehin. Und selbst Sportarten wie Tischtennis oder Nordic Walking können bei entsprechender Intensität zur gezielten Überlastung des Körpers führen. Man nennt das im Volksmund auch „über sich hinauswachsen“, zumindest solange sich der sportliche Erfolg einstellt.

Der Marathon macht da keine Ausnahme, es gibt nur einen gewichtigen Unterschied: Während man sich bei anderen Sportarten zurücknehmen kann und so einer Überlastung vorbeugt, sofern man sich gerade nicht nach Höchstleistung fühlt, ist dies beim Marathon nicht möglich. Die Grenzerfahrung ist vorprogrammiert, für den einen weniger, für den anderen mehr. Umso wichtiger ist es, dass sich Marathonläufer vor dem Lauf sehr genau die Frage stellen, ob sie wirklich fit sind. Falsch verstandener sportlicher Ehrgeiz kann – wie in jeder Sportart – sehr schnell sehr gefährlich werden.

„Nur“ eine Disziplin

Im Gegensatz zu Tennis oder Fußball ist Marathon aber nur eine Disziplin des Laufsports. Das wird bei der Bewertung des Marathons als Sport gerne vergessen. Kaum ein Läufer läuft die volle Distanz außerhalb des Wettkampfs. Und wenige Läufer laufen mehr als einen Marathon im Jahr, wenn überhaupt. Marathon ist also kein Sport, sondern lediglich eine extreme Auskopplung einer Sportart. Insofern werden viele Läufer auf die Frage „Warum Marathon Laufen“ antworten: „Weil ich es kann!“

Dass der Marathon eben nur eine Extrem-Version des Laufsports ist, scheint allerdings immer wieder bei der Betrachtung vergessen zu werden. Vielleicht gehen die kritischen Schreiber auch wirklich davon aus, dass jeder Trainingslauf aus über 42 Kilometern besteht. Das wäre natürlich Unsinn, aber viele Artikel zeugen von massiver Unkenntnis. Wer weiß, wie weit die geht.

Exhibitionismus im Sport integriert

Ein ebenfalls nicht nur einmal gehörter Vorwurf ist der Exhibitionismus an der eigenen Leistung, den ein durchschnittlicher Marathonläufer an den Tag legt. Dem ist wenig entgegenzusetzen, bis auf die Frage, warum man sich daran stört. Vollkommen absurd hingegen ist die Aussage, dieser Darstellungsdrang befiele keine anderen Sportler. Das kollektive Auftreten samstagnachmittäglicher Fußballzuschauer und die zahlreichen Berichte darüber auch in den sozialen Medien wirken doch deutlich befremdlicher, als wenn wenigstens über die eigene Leistung debattiert wird. Natürlich scheint die vor dem Hintergrund einer Bundesliga-Kulisse eher mager. Doch für den Läufer selbst ist sie das nicht, und das zeigt er oder sie gerne dem eigenen Umfeld. Wem es nicht passt, der möge gerne wegschauen oder sich andere Freunde suchen, auch in sozialen Netzen, wo der Begriff des Freundes vielleicht nicht ganz so eng gefasst wird.

Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, was der Lauf für den einzelnen Läufer bedeutet. Hier kommen nicht nur die Trainingseinheiten eines Jahres zusammen auf den Prüfstand, sofern man sich ein Ziel gesetzt hat, hier entlädt sich auch das immer und immer wieder zelebrierte Individualtraining zusammen mit tausenden anderen Läufern, die alle das gleiche Los gewählt haben. In gewisser Weise hat ein großer Marathonlauf etwas gemeinsam mit ein Konzert, zu dem sich Fans einer Gruppe euphorisch treffen, weil sie das in ihrem Alltag nicht zwingend auf Verständnis treffende Interesse hier mit allen anderen teilen, und zwar mit jedem, der um sie herum steht und läuft.

Die Folge davon ist, dass Läufer bei einem Marathonlauf allesamt zusammen laufen und nicht etwa gegeneinander, sieht man von der absoluten Elite ab. Insofern ist der Name „Wettkampf“ nicht wirklich treffend gewählt. Ein Marathonlauf hat mehr von einem „Happening“, einem geordnetem Zusammentreffen von Sportlern, die alle das gleiche Interesse teilen. Wer bei einem Lauf schon einmal in körperliche Schwierigkeiten gekommen ist, der weiß, wieviel Unterstützung von den anderen Sportlern entgegengebracht wird, die ja eigentlich genug mit sich selbst zu tun haben müssten. Aber darum geht es meist nicht.

Spirituell oder nicht – ist das wichtig?

Ebenfalls erstaunt war ich, als ich einen Artikel eines Marathonläufers las, der dem Lauf jegliche Spiritualität absprach. Der Begriff war von anderen Sportlern ins Gespräch gebracht worden und hatte eigentlich direkt Assoziationen zu meinen eigenen Erfahrungen geweckt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder jeder definiert Spiritualität anders, so dass gleiche Erfahrungen mit dem Extrem-Lauf einmal spirituell empfunden werden und einmal nicht. Oder aber die Erfahrungen beim Laufen sind bei gleicher Spiritualität-Definition zu unterschiedlich. Vermutlich ist eine Kombination aus beidem zutreffend.

Mein erster Marathonlauf hatte mich selbst derart zerrissen, dass ich vom Zieleinlauf bis zur Kleiderausgabe eine geschlagene Stunde benötigte, und zwar auf allen Vieren. Ich muss gestehen, dass ich in diesem Augenblick viele Assoziationen mit mir und meinem Körper teilte, aber auf keinen Fall etwas besonders Erhabenes spürte. Die Frage „Warum Marathon Laufen“ hätte ich in diesem Augenblick vermutlich sarkastisch beantwortet oder wäre wild schimpfend weggekrochen.

Im Nachklang allerdings hatte ich das Gefühl, meinem eigenen Körper noch nie so nahe gewesen zu sein. So befinde ich mich bildlich gesprochen auf dem Scheidepfad zwischen Nicht- und Spiritualität. Eine brennende Frage allerdings bleibt: Warum ist das überhaupt wichtig? Kann nicht jeder einfach so beim Sport empfinden, wie er oder sie möchte? Gibt es eine Notwendigkeit des gemeinsamen Körpergefühls? Wohl kaum, wer also im Marathonlauf seine Selbsterkenntnis sucht, der möge das doch gerne machen, ganz ohne Ironie!

Muss wirklich jeder Marathon laufen?

Das Massenphänomen des Marathons klingt inzwischen wieder etwas ab. In der Hochphase war es schwierig, Startplätze für die großen Events zu bekommen, und das hält zurzeit auch noch an. Allerdings zeichnet sich ab, dass die kleineren Marathons, durchaus traditionelle Veranstaltungen, immer mehr Läuferzahlen einbüßen. Die große Schwemme an Marathons hat dazu sicherlich beigetragen.

Insofern sind die Fragen, „Warum Marathon laufen“ und „Muss jeder Marathon laufen“ vermutlich Fragen, die sich in der nächsten Zeit mehr und mehr selbst regulieren, weil Ihnen die Relevanz abhanden kommt. Sieht man sich die Läuferschaft während eines Marathons an, so ist diese sehr bunt gemischt. Von trainierten Ausdauersportlern bis zu ambitionierten Sportanhängern finden sich im Lauffeld Läuferinnen und Läufer jeder Trainingsstufe und jeden Alters. Man mag das zurecht kritisieren, weil ein entsprechender Lauf im mangelhaft trainierten Zustand gefährlich sein kann. In einigen Artikeln allerdings, die sich mit der Notwendigkeit eines Marathonlaufs beschäftigen, gewann ich den Eindruck, dass ein Stück Besonderheit am Sport gewahrt werden soll, damit das eigene Vermögen, 42,195 Kilometer zu laufen, nicht zu sehr zum allgemeinen Gut wird.

Um dauerhaft Marathon zu laufen und zu trainieren, sollte man neben einer ausreichenden Konstitution auch eine gefestigte Persönlichkeit mitbringen. Dann prallen Artikel, die wie Anfeindungen klingen können, ausreichend schnell ab und hinterlassen keine Zweifel am eigenen Sport der Wahl. Denn die Frage „Warum Marathon Laufen“ muss letztlich nur jeder Läufer für sich beantworten. Autoren der genannten Artikel hingegen wünsche ich mehr Gelassenheit mit dem kölschen Motto: Jeder Jeck is anders.

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